Fredenhagen-Altar
Meisterwerk norddeutscher Barockkunst
Ein bedeutender Altar für eine bedeutende Stadt.
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Der Fredenhagen-Altar (von Svea Regine-Feldhoff)
Die Marienkirche in ihrer jetzigen Gestalt wurde erbaut in den Jahrzehnten vor und nach 1300. Sie war Ausdruck des stolzen und reichen Bürgertums einer reichsfreien Stadt. Man baute die Kirche direkt neben das Rathaus und den Markt auf den höchsten Punkt des Stadtgebiets. Die Marienkirche war die Kirche des Rats und der Kaufleute, stets bestand daher eine enge Verbindung zur Kaufmannschaft. So wurden seit dem 17. Jahrhundert z.B. die Lübecker Abendmusiken an St. Marien von der Kaufmannschaft gefördert. Kirchenrechtlich unterstand die Marienkirche ebenso wie alle anderen Kirchen in Lübeck dem Domkapitel. Deshalb ist die These, die Kaufleute wollten der geistlichen die weltliche Macht in provozierender Weise gegenüberstellen, zumindest fragwürdig.
Wohlhabende Bürger drängten danach, sich in „ihrer“ Kirche ein Denkmal zu setzen. Es wurden hochwertige sakrale Kunstwerke gestiftet. Die ursprünglich in den Boden eingelassenen Grabmäler oder Kenotaphe, also Scheingräber, die nur dem Andenken eines Menschen gewidmet waren, wanderten zunehmend an die Pfeiler und an die Wände. Waren es anfangs Gedenkplatten mit Inschriften, so entstanden vor allem im 16. und 17. Jahrhundert aufwändige Epitaphien, die dem wachsenden Repräsentationsbedürfnis und dem enormen Einfluss der Kaufleute nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch politischem und kulturellem Gebiet Rechnung tragen sollten.
Einer der produktivsten Epitaphienkünstler war in seiner Zeit der Antwerpener Bildhauer Thomas Quellinus (1661-1709), der in Kopenhagen einen großen, in ganz Europa sehr bekannten Handwerksbetrieb führte. Sein berühmtestes Werk in Norddeutschland ist der Altar, den er im Auftrag des Lübecker Ratsherrn Thomas Fredenhagen (1627-1709) für die Marienkirche anfertigte. Quellinus arbeitete an diesem Altar zum Teil in der Marienkirche selbst, denn er sollte genau zwischen die beiden Säulen im Hochchor passen.
„Der gewaltige, ausgezeichnet auf die Maße des Chores abgestimmte Marmoraufbau war ein Hauptwerk des flämischen Spätbarock von europäischem Rang und hat die Altarkunst im Lande wesentlich beeinflusst“ (Lutz Wilde in dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Hamburg, Schleswig-Holstein 1971, S. 337).
In der Tat sind auch die Altäre z.B. in St. Aegidien oder St. Jakobi in Lübeck als epigonal zu betrachten, während der Fredenhagen-Altar der Marienkirche aus kunsthistorischer Sicht den Nachweis eines innovativen Originals liefert.
Thomas Fredenhagen war als Kaufmann und Reeder zu enormem Reichtum gelangt, wahrscheinlich war er der reichste Lübecker seiner Zeit. Seit 1680 gehörte er dem Kirchenvorstand von St. Marien an. 1695 hatte Fredenhagen der Stadt Lübeck einen Kredit über 100.000 Lübische Mark gewährt, eine unvorstellbar hohe Summe. Im August 1697 war der neue Altar fertig. Natürlich hatte auch Fredenhagen einen Hintergedanken – der Altar sollte auch sein eigenes Grabmal sein. Zu diesem Zweck war in den Sockel eine Gruft eingearbeitet.
Die Stiftung des Altars war die größte an einer Lübecker Kirche seit der Reformation. Ebenso kann der Fredenhagen-Altar als das bis dahin bedeutendste nachreformatorische sakrale Kunstwerk Nordeuropas angesehen werden.
Bis zum Bombenangriff an Palmarum 1942 war der Innenraum der Marienkirche überwiegend bestimmt von barocken Epitaphien: über 80 waren bis dahin erhalten, von weiteren ca. 60 weiß man durch Urkunden. Durch den Bombenangriff verbrannten alle hölzernen Epitaphien im Mittelschiff, auch der Altar wurde schwer beschädigt. Die Gemeinde verzichtete auf eine Wiederherstellung sondern ließ ihn, ähnlich der zerstörten Glocken, zunächst als Mahnung gegen den Krieg stehen. Abgerissen wurde der Fredenhagenaltar erst 1958 auf besonderen Wunsch des damaligen Bischofs. Auch Marienorganist Walter Kraft sprach sich für einen Abriss aus, so dass der Kirchenvorstand diese Entscheidung fällte. Sie war von Anfang an umstritten, und zahlreiche Veröffentlichungen belegen diesen Diskurs bis heute. Die Befürworter des Abrisses freuten sich über eine weitere Befreiung von barocker Kunst, lobten den entstandenen freien Raum und betrieben eine Re-Gotisierung des Kirchenraums. Die Befürworter einer Wiederherstellung des Fredenhagenaltars wussten und wissen um die Bedeutung des Altars als Kunstwerk, um seine Bedeutung für die Stadt, die Musik und die Akustik des Kirchenraums.
Der Sockel des Fredenhagenaltars blieb stehen und verschwand in der Aufschüttung, die vorgenommen wurde, um eine deutliche Erhöhung des Chores zu erreichen. Darauf wurde ein schlichter Altartisch aus Kalkstein gesetzt. Darüber hängte man ein Kruzifix des Künstlers Gerhard Marcks. Ein kleiner gotischer Marienaltar aus einer Seitenkapelle ergänzte das neue Ensemble. Diese Maßnahmen sind bis heute umstritten.
Zur Zeit ist der Fredenhagen-Altar auseinandergerissen: einige Marmorfiguren sind an verschiedenen Stellen des Kirchenraums angebracht, während die Grundkonstruktion im Nordturm gelagert ist.
Der Altar und die Musik im Kirchenraum (von Dom- und Marienorganist Johannes Unger)
War die im 13. Jahrhundert errichtete gotische Hallenkirche zu Anfang ein Ort für einstimmige Gesänge, so z. B. beim Stundengebet, entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte die Komplexität der Musik parallel zu den akustischen Verhältnissen, welche hauptsächlich durch die zunehmende Innen-Ausstattung der Kirche (Gestühl, Epitaphien, Emporen, Orgeln, Singechor, Hauptaltar, Fahnen) bestimmt wurde. Für die Mehrstimmigkeit und die für St. Marien belegte Mehrchörigkeit (bis zu 6 Ensembles gleichzeitig) waren im 16. und 17. Jahrhundert ein gleichmäßig verteilter Klang und verringerte Nachhallzeiten unumgänglich und sehr wahrscheinlich erreicht, wenn auch der Raum in seiner Größe immer eine Herausforderung für die Musiker darstellte.
Die Zerstörungen des Krieges 1942 haben die akustischen Verhältnisse mit einem Schlag zurück ins 13. Jahrhundert verändert. Sämtliche hölzernen und marmornen Einbauten, der den Raum strukturierende Singechor (Lettner), die vielen den Klang diffus reflektierenden Flächen, selbst die schallschluckenden Kalkfarben waren verschwunden. Der Abriss des großen Fredenhagen-Altares, als die letzte verbliebene große Reflektionsfläche im Hochchor, bildete den Abschluss einer plötzlich eingetretenen Entwicklung, die das Musizieren in diesem Raum in vielen Teilen äußerst schwer macht.